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Psychographie (zwei Modelle auf Basis einer Typologie)

Geistiger Vater des Begriffs „Psychographie“ ist der Sozialpsychologe Gordon W. Allport. Seine Mitte des letzten Jahrhunderts entwickelte Methode zur psychologischen Diagnostik hat jedoch keine nachhaltige Aufmerksamkeit gefunden. Dietmar Friedmann griff dann Anfang der neunziger Jahre diese Bezeichnung für seine von ihm neu entwickelte Typologie wieder auf. Sein späterer Schüler Werner Winkler entwickelte vor etwa 10 Jahren eine teils abweichende Sichtweise auf die Friedmann'œsche Typenlehre. Im Ergebnis gibt es zwar ein gemeinsames Grundverständnis der drei Psychographie-Typen, aber im Detail abweichende Modelle. Persönlichkeitstests nach beiden Verfahren finden Sie online auf "psychographen.de".

 

Beiden Modellen gemeinsam ist die Bezeichnung der drei Grundtypen:

  • Beziehungstyp
  • Sachtyp
  • Handlungstyp

Die Psychographie basiert auf der Grundannahme, dass die menschliche Psyche aus den drei Lebensbereichen Denken, Fühlen und Handeln besteht und dass jeder Mensch sich recht früh in seinem Leben auf einen bestimmten Bereich spezialisiert und mindestens einen anderen Bereich eher vernachlässigt. So haben die dem Denken verhafteten Sachtypen ihre größten Defizite beim Handeln. Die auf das Fühlen spezialisierten Beziehungstypen vernachlässigen oft das Denken. Und die Handlungstypen haben den größten Nachholbedarf beim Fühlen. Auf dieser theoretischen Basis beschrieben erst Friedmann und später auch Winkler recht detailliert spezifische Erlebens- und Verhaltensmuster dieser drei Persönlichkeitsstrukturen. Die folgende Kurzbeschreibung der drei unterschiedlichen Psychographie-Typen ist der Versuch, den größten gemeinsamen Nenner aus beiden Modellen darzustellen.

 

Beziehungstyp

 

Eigenschaften: Kommunikativ, kontaktfreudig, lebendig, begeisternd, gefühlsbetont, emotional verführerisch, ausdrucksstark, kreativ, fantasievoll, verspielt, ideenreich, optimistisch, freigiebig, vielseitig interessiert … aber auch …

Unvorsichtig, leichtgläubig, leicht ablenkbar, unzuverlässig, unpünktlich, verschwenderisch, mischt sich zu schnell ein, kann sich schwer konzentrieren

 

Die kommunikativen und lebendigen Beziehungstypen machen meist einen gewinnenden Eindruck, um gut anzukommen. Sie möchten attraktiv und anziehend wirken, wodurch sich ihre Präferenz für modische Kleidung erklärt. Da sie gesellig und viel unterwegs sind, haben sie meist einen großen Freundes- und Bekanntenkreis. Sie sind einfallsreich und interessieren sich für alles Mögliche - zumindest oberflächlich. Es fehlt ihnen jedoch oft die Geduld, begonnene Projekte zu Ende zu führen, so dass sie oft mehr versprechen, als sie halten können. Ihre Biografie zeigt selten eine konstante Entwicklung auf, sondern zeichnet sich eher durch regelmäßige Brüche und Neuanfänge aus. Gleichzeitig haben sie eine starke innere Sehnsucht nach Normalität und Regelmäßigkeit, die sie aber aufgrund ihrer Ruhelosigkeit und ihres Reizhungers selten dauerhaft in ihr Leben integrieren können.

 

Ein Beziehungstyp sorgt im Team meist für eine lockere freundliche Atmosphäre und hat ein gutes Einfühlungsvermögen. Er verteilt zielsicher die richtigen Komplimente, achtet aber auch darauf, dass er diesbezüglich nicht zu kurz kommt. Durch ihre starke Beziehung zur Umwelt und ihren Mitmenschen sind Beziehungstypen sehr stimmungsanfällig für Impulse, die von außen kommen (oder eben nicht kommen). So ist es für sie nicht ungewöhnlich von einer Minute auf die andere von Euphorie in Niedergeschlagenheit zu verfallen, wenn etwas nicht so läuft, wie sie es sich gewünscht haben. Dabei leiden sie am meisten, wenn sie sich ungeliebt oder hilflos fühlen. Dann sind sie nicht mehr gewinnend, sondern angespannt und distanziert. In diesen Situationen entwickeln sie auch einen starken Fluchtreflex, der für das Gegenüber vollkommen überraschend kommen kann und für weniger emotionale Menschen übertrieben wirkt. Haben sie ihr Gleichgewicht wieder gefunden, können sie dann aber schnell zu alter Liebenswürdigkeit zurück finden.

 

Durch ihre grundsätzliche Gutgläubigkeit müssen Beziehungstypen kritisches Denken und Hinterfragen erst lernen - meist durch negative Erfahrungen. Dies fällt ihnen auch deswegen schwer, weil sie leidenschaftlich gerne die Retter-Rolle übernehmen und dabei ihre zeitlichen und finanziellen Ressourcen oft sträflich vernachlässigen. Werden sie dann menschlich enttäuscht, zurückgewiesen oder fühlen sich missverstanden, kann aus der übereilten Hingabe schnell leidenschaftliche Abneigung werden. Ihre frühen Erfahrungen mit Gefühlskälte und Sich-Ungeliebt-Fühlen werden dann wieder lebendig.

 

Sachtyp

 

Eigenschaften: Zurückhaltend, unauffällig, still, nachdenklich, ernst, beobachtend, sachlich, ruhig, analytisch, konfliktscheu, abwartend, unverbindlich, bequem, effizient, schnelle Auffassungsgabe, trockener Humor … aber auch …

Geizig, verantwortungsscheu, unentschlossen, passiv, unflexibel, emotional verschlossen, vergesslich, praktisch unbegabt

 

Sachtypen denken lieber als zu handeln und erkennen schnell Zusammenhänge. Wenn sie etwas spannend finden, sind sie äußerst lernwillig und wissbegierig. Sie können sich hervorragend konzentrieren, speichern jedes Detail und möchten stets noch mehr dazulernen. Dafür tun sie sich bei praktischen Aufgaben schwer und fallen sofort in ihre Bequemlichkeit zurück, wenn lästige Pflichten zu erledigen sind. Sie können unangenehme Dinge lange vor sich herschieben, selbst wenn diese dringend erledigt werden müssten. Auch Gefühlsäußerungen sind ihnen suspekt, da sie keinen guten Zugang zu ihrer inneren Befindlichkeit haben.

 

Durch Komplimente kann ein Sachtyp zu Höchstleistungen motiviert werden - insb. durch Anerkennung seiner größten Stärke, dem strukturierten Denken. Spürt er jedoch Desinteresse, Missachtung oder Ignoranz verliert er sehr schnell an Selbstsicherheit. Am schlimmsten ist jedoch Kritik, insbesondere wenn sie nicht betont sachlich geäußert wird. Bei persönlicher Kritik sowie bei Überforderung zieht er sich entweder zurück und wird einsilbig oder er wird auf sarkastische Art verletzend. In Streitsituationen bleibt er oft lange äußerlich ruhig und explodiert erst, wenn er sich argumentativ hilflos fühlt. In diesem Konfliktverhalten kommt auch seine Neigung zum Ausdruck, sich schnell als Opfer zu fühlen.

 

Sachtypen haben eine Tendenz zur Unentschiedenheit. Sie bleiben gerne unverbindlich und nutzen ihre Sachlichkeit und Distanziertheit, um so lange wie möglich nicht Handeln und dadurch keine Verantwortung übernehmen zu müssen („da muss ich erst einmal drüber nachdenken“). Deswegen hassen sie zeitlichen Druck. Bevor sie Zeit oder Geld investieren, wägen sie die Erfolgsaussichten genau ab. Durch ihre Bedürfnisse sowohl nach Effizienz als auch nach Kenntnis aller relevanten Informationen bleiben Sachtypen lange in einer „Vielleicht“-Haltung. Fühlen sie sich zu einem „Ja” gedrängt, versuchen sie alles, um noch nicht die Konsequenzen ziehen zu müssen. Ebenso fällt es ihnen schwer, sich von etwas zu trennen, das gewohnheitsmäßig zu ihrem Leben gehört. Daher halten sie auch lange an einer Beziehung oder einem Arbeitsplatz fest, selbst wenn sie darunter leiden. Als sicherheitsliebende Typen suchen sie nach geeignetem Ersatz, bevor sie einen stabilisierenden Faktor in ihrem Leben aufgeben. Finden sie dann jedoch eine Alternative, kann der Wechsel sehr plötzlich erfolgen.

 

Handlungstyp

 

Eigenschaften: Verantwortungsvoll, pflichtbewusst, zuverlässig, tüchtig, aktiv, ordnungsliebend, entschlossen, zielstrebig, kraftvoll, kämpferisch, selbstsicher, fordernd, engagiert, einsatzfreudig, fair, gerecht, hilfsbereit, praktisch veranlagt  … aber auch …

Ungeduldig, fantasielos, selbstüberschätzend, negativ, überkritisch, perfektionistisch, zwanghaft, konservativ, wenig aufgeschlossen

 

Handlungstypen sind kraftvolle und entschlossene „Macher“, die streitlustig bis kampfbereit auftreten, um eigene Ziele zu erreichen. Überschüssige Energien fließen meist in sportliche Aktivitäten. Sie bevorzugen verbal und non-verbal eine deutliche Kommunikation, indem sie laut und deutlich sprechen, oft nach vorne gebeugt sitzen und ihre Sichtweise gerne mit ausgestrecktem Zeigefinger vortragen. Sie wissen meist, was als nächstes zu tun ist und übernehmen die Führung, während alle anderen - insb. die Sachtypen - noch überlegen. Auch wenn sie im Umgang in der Regel kameradschaftlich und fair sind, sind sie doch meist überzeugt davon, im Recht zu sein, und scheuen daher nicht davor zurück, andere zurechtzuweisen. Bei allem, was nicht ihren eigenen Überzeugungen und Plänen entspricht, haben sie eine Tendenz zunächst „Nein“ zu sagen. Ihr weiches Herz bekommen eher Tiere, Pflanzen oder Kinder zu spüren.

 

Für einen Handlungstypen sind seine Arbeit sowie seine Fähigkeiten und Fertigkeiten meist der Mittelpunkt seines Lebens. Zuverlässigkeit und Pflichterfüllung sind hohe Werte für ihn, was zu einem zwanghaften Perfektionismus führen kann. Daher kann er sich auch über Unzuverlässigkeit und Ungenauigkeit maßlos aufregen. Er ist es gewohnt, bis an seine Grenzen zu gehen (und manchmal auch darüber hinaus), da er eigene Bedürfnisse und Gefühle gut ignorieren kann. Diese Eigenschaften werden gerade von Vorgesetzten besonders geschätzt, was ihn im Allgemeinen beruflich erfolgreich macht. Krankheiten werden als Zumutung erlebt und der Gang zum Arzt daher so lange wie eben möglich hinausgezögert. Körperliche Beschwerden werden in der Regel ignoriert bis die eigene Leistungsfähigkeit nennenswert beeinträchtigt ist - im Extremfall bis gar nichts mehr geht („Burn-out“).

 

Aufgrund dieses schonungslosen Umgangs mit seinen körperlichen Grenzen legt der Handlungstyp viel Wert auf einen ungestörten Schlaf. Dies ist eine der wenigen Formen von Entspannung, die er sich gönnt. Ansonsten ist ihm genießen recht fremd. Auch die manchmal intensive Ausübung eines Hobbys dient häufiger einem zwanghaften Beschäftigungsdrang als wirklichem Genuss.

 

Für ihre Tatkraft und Zuverlässigkeit werden Handlungstypen auch im privaten Umfeld geschätzt. Dabei sind ihnen aber Freundschaften mit zu viel Nähe eher suspekt. In Gefühlsangelegenheiten sind sie zurückhaltend und grundsätzlich geneigt, äußeren Herausforderungen den Vorrang vor Beziehungen einzuräumen. So ist für manche Handlungstypen eine Partnerschaft eher ein zweckdienliches Geben und Nehmen als eine Herzensangelegenheit. Sie schätzen die Stabilität und den praktischen Nutzen des Zusammenlebens - manchmal auch den Status einer Ehe, da sie eher konventionell sind. Sie sind disziplinierte und zuverlässige Pragmatiker, aber ihr größtenteils korrektes Verhalten schafft eher Distanz als Intimität.

(Ende)

 

Untersucht man die drei Psychographie-Typen auf Gemeinsamkeiten mit Persönlichkeitsstrukturen aus Temperamentenlehre und DISG-Modell, lassen sich folgende Ähnlichkeiten erkennen:

  • Der Beziehungstyp entspricht am ehesten dem Sanguiniker und hat mehrere gemeinsame Merkmale mit dem I-Typ (initiativ).
  • Der Sachtyp hat sowohl Charakterzüge vom Melancholiker als auch vom Phlegmatiker. Er ist schwerpunktmäßig ein G-Typ (gewissenhaft) kann aber situationsabhängig auch einen stark ausgeprägten S-Zug (stabil) aufweisen.
  • Handlungstypen schließlich weisen mehrere Ähnlichkeiten mit dem Choleriker auf und lassen sich als D-Typ (dominant) verorten, die entweder mehr Richtung Initiativgeist (I) oder mehr Richtung Gewissenhaftigkeit (G) tendieren.

 

Die Liebe ist die kleine Schwester des geliebten Lebens!

(Botho Strauss)

Erdmännchen