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Sex, Paarung und Fortpflanzung beim Spermienkonkurrenz-Modell


Haben Sie schon mal was von Spermienkonkurrenz gehört? – Wahrscheinlich nicht! Ich bis vor kurzem auch nicht. Was also meint dieser Begriff?

Zum einen: Wenn Spermien von mehr als einem Männchen in den Reproduktionstrakt eines Weibchens gelangen, dann konkurrieren die gegnerischen Samenzellen darum, die Eizelle zu befruchten. Zum anderen: in den weiblichen Geschlechtsorganen (Scheide, Eierstöcke, Eileiter und Gebärmutter) finden biologische und chemische Prozesse statt, um Spermien zu selektieren (z.B. hinsichtlich bestmöglicher Ergänzung der Immunsysteme).

Arten, bei denen es zur Spermienkonkurrenz kommt, haben in der Regel ein promiskes Sexualverhalten und die Weibchen zeigen typischerweise ihre Fruchtbarkeit an, um dadurch Männchen anzulocken (z.B. stimulierende Laute, Gerüche oder das Anschwellen der Genitalien). Bei diesen Arten findet der Kampf um Nachwuchs also nicht (oder nicht nur) außerhalb des Körpers im hierarchischen System der Gemeinschaft statt (bspw. durch Dominanzkämpfe der Männchen), sondern in den Fortpflanzungsorganen der Weibchen.

Exemplarisch dafür steht das Gemeinschaftsleben der Bonobos, in denen es keine nennenswerten Kämpfe um Sexualkontakte gibt. Hier bekriegen sich nur die Samenzellen. Nun vertreten Anhänger des Spermienkonkurrenz-Modells die These, dass über Hunderttausende von Jahren auch die Jäger-und-Sammler-Gesellschaften der menschlichen Spezies nicht viele Kämpfe um Sexualpartner (und damit die Weitergabe der eigenen Gene) ausgefochten haben. Dies sei dort ebenso auf der Ebene der Spermien und damit in der Vagina erfolgt.

Dazu passt, dass Evolutionsforscher überwiegend zu dem Schluss gelangt sind, die Intelligenz der Primaten (insb. des Menschen) habe sich vor allem durch soziale Kooperation, weniger durch Konkurrenzverhalten entwickelt. Insofern  ermöglicht ein genetischer Konkurrenzkampf auf der Ebene der Samenzellen einer Gruppe mehr Kooperation und damit auch eine höhere gesellschaftliche Dynamik. In diesem Licht erscheint die genetische Auslese durch Spermienkonkurrenz als ein sinnvoller Kniff der Evolution, um in einer Gruppengemeinschaft den Kampf um Sexualpartner zu minimieren. Denn: keine Spezies der großen Menschenaffen lebt monogam.

Im folgenden Abschnitt gehe ich zunächst auf biologische Hinweise bei den verschiedenen Primatenarten ein, die dieses Modell stützen.

Exkurs: Lustvolles Stöhnen

Zur Einstimmung auf das Thema greife ich kurz eine Hypothese auf, die nicht zu den Kernargumenten des Spermienkonkurrenz-Modells gehört. Ich finde sie jedoch unabhängig davon interessant.

Wenn Evolutionspsychologen von „weiblichen Kopulationsrufen“ sprechen, meinen sie damit das vernehmbare Stöhnen und Seufzen von Weibchen beim Geschlechtsakt, das bei vielen Primatenarten die Laute des Männchens übertrifft. Der Mensch macht dabei keine Ausnahme - und das quer durch alle Kulturen und Regionen der Erde. (Auch dazu gibt es entsprechende Untersuchungen.)

Verschiedene Forschungsarbeiten ergaben, dass weibliche Kopulationsrufe deutlich seltener bei Arten mit monogamer Paarung sind. Zusammen mit anderen Belegen lässt dies den Schluss zu, dass gut vernehmbare weibliche Lustlaute dem Zweck dienen, Männchen zu einem sexuell aktiven Weibchen zu locken. Der evolutionäre Vorteil dieses Verhaltens muss nennenswert sein. Schließlich muss dieser den nicht zu unterschätzenden Nachteil aufwiegen, durch die Laute beim Sex auch Fressfeinde auf sich aufmerksam zu machen.

Um klar zu sehen, genügt oft ein Wechsel der Blickrichtung.

(Antoine de Saint-Exupéry)