Sex und Partnerschaft
Ist lebendige und lustvolle Sexualität in einer dauerhaften Partnerschaft noch die Regel oder schon die Ausnahme? Das Spannungsverhältnis zwischen kuscheliger Vertrautheit und wilder Leidenschaft kann zu vielen Glücksmomenten führen, aber genauso auch große Enttäuschung hervorrufen.
Zwar treffen wir die Entscheidung, ob wir uns an einen Partner lebenslang binden wollen, sehr bewusst. Weniger bewusst jedoch ist uns dabei, ob unsere sexuellen Bedürfnisse auch langfristig gut miteinander harmonieren. Dafür können wir uns nicht entscheiden (oder zumindest nur in einem sehr eingeschränkten Rahmen). Erotische Gefühle, sexuelle Anziehung und Begehren sind da oder eben nicht. Hinzu kommt ein weiterer psychischer Stolperstein: Was man hat, begehrt man nicht mehr.
Vielfältige Untersuchungen zeigen, dass die Zufriedenheit mit dem Sexualleben in der Partnerschaft kontinuierlich zurückgeht. Dabei scheint die Bedeutung, die Männer und Frauen dieser Entwicklung für den Bestand der Partnerschaft beimessen, sich ebenfalls zu wandeln. Noch vor 20 Jahren ergab eine repräsentative Umfrage, dass von 19 genannten Faktoren für eine zufriedene Partnerschaft Zärtlichkeit an 10., Erotik an 12. und die Sexualität erst an 14. Stelle kamen.
Die Bereitschaft, die im Laufe einer langjährigen Beziehung nachlassende Leidenschaft als normal anzusehen und zu akzeptieren, ist inzwischen jedoch stark gesunken. Die Gründe hierfür mögen vielfältig sein. Einen nicht zu unterschätzenden Beitrag hierzu leistet aber auch das Internet auf gleich zwei verschiedenen Ebenen.
Da ist zum einen die ständige Verfügbarkeit jedweder Form von Pornographie, die ein Bild von jederzeit leidenschaftlicher, begieriger Sexualität zeichnet. Damit werden Wünsche und Bedürfnisse geweckt, die die Realität nicht einlösen kann. Nachlassendes Begehren bekommt dann schnell den Beigeschmack von Krise. Zum anderen erweckt die ständig wachsende Zahl von Partnerschafts- und Sexkontakt-Portalen den Eindruck, dass sowohl ein noch besser passender Partner als auch leidenschaftlicherer Sex nur einen Mausklick entfernt ist. Diese Tendenzen werden noch verstärkt durch zahlreiche Ratgeber, die versprechen, dass lebenslange Zufriedenheit in einer Beziehung sowie Befriedigung im Bett machbar ist. Es bräuchte dafür nicht mehr als ein bisschen guten Willen und natürlich die genaue Befolgung der empfohlenen Tipps und Tricks.
Nimmt man alles zusammen, leitet sich daraus ab: Je deutlicher Partnerportale die Vorstellung nähren, der ideale Partner sei eine Frage des richtigen Such-Algorithmus, desto größer die Bereitschaft, sich aus nicht mehr harmonischen Beziehungen zu lösen, sein/ihr Glück bei dem/der Nächsten zu suchen. Und je verheißungsvoller der Online-Sex sowie die Paar-Ratgeber für mehr Lust und Leidenschaft, desto eher wird das Versprochene dort gesucht, wo es leichter zu finden ist als in der langjährigen Beziehung.
Denn eins ist doch nicht mehr zu übersehen: Die Diskrepanz zwischen dem romantischen Liebesideal des einen (nahezu) perfekt passenden Partners, mit dem alles für immer geteilt wird, und der Vielzahl des erlebten Scheiterns dieses Ideals. Gewünscht wird eine größtmögliche Gemeinsamkeit an Interessen, Einstellungen und Sichtweisen gepaart mit prickelnder Erotik und leidenschaftlicher Sexualität. Dies alles auf dem Boden sicherheitsspendender Geborgenheit sowie verlässlicher emotionaler Nähe. Das romantische Liebesideal verspricht die Möglichkeit, Verbundenheit und Vertrautheit auf der einen Seite sowie Lust und Leidenschaft auf der anderen Seite mit ein und derselben Person zu erfahren. Und das dauerhaft.
Wird diese Fülle an Erwartungen enttäuscht, steht sofort die Frage im Raum, was der Partner falsch gemacht hat. Zur Beantwortung dieser Frage werden dann oft genug Paartherapeuten in der Erwartung aufgesucht, Unterstützung für die eigene Sicht der Dinge zu erfahren. Zunächst fehlt es also an Selbstreflexion und eigener Veränderungsbereitschaft, da der Fokus sich auf die Defizite des Partners und die jeweils eigenen unbefriedigten Bedürfnisse verengt hat. Darüber hinaus existiert nur eine sehr gering ausgeprägte Neigung, sich damit auseinanderzusetzen, inwiefern das eigene Liebesideal mit all seinen Anforderungen an den Partner Frustration und Enttäuschung befördern.
Bezogen auf die beiden bereits beschriebenen Ebenen „Sexualität der Zugehörigkeit“ und „Sexualität der Lust“ heißt das: Der Sehnsucht nach dauerhafter Leidenschaft steht die oft frustrierende Erkenntnis gegenüber, dass mit den nicht vermeidbaren Alltagskonflikten und den sich verstärkenden Gewohnheiten (auch im erotischen „Standardablauf“) auch die körperliche Lust auf den Partner schwindet. Sexuelles Verlangen sollte sich also bereits in den ersten Jahren einer Partnerschaft zunehmend aus Vertrauen und Vertrautheit speisen sowie einer darauf basierenden Offenheit hinsichtlich der körperlichen und emotionalen Bedürfnisse wie auch der eigenen Wünsche und Fantasien.
Eine solche Offenheit kann zwei schmerzhafte Erkenntnisse ans Tageslicht bringen, die beide mit - nachvollziehbaren - Ängsten verbunden sind. Zum einen kann der Austausch über erotische Neigungen, Vorlieben, Fantasien ins Bewusstsein rücken, dass die sexuelle Passung (also die gemeinsame Schnittmenge an erotischen Bedürfnissen) geringer ist, als es im ersten Verliebtheits-Rausch schien. Zum anderen kann dies die gerne verdrängte Vermutung an die Oberfläche holen, dass sich trotz einer sonst gut funktionierenden Beziehung die sexuelle Lust nicht nur nach Anderem, sondern auch nach Anderen sehnt. Wird jedoch die Auseinandersetzung vermieden mit allem, was weh tun kann, während zugleich die Sehnsucht nach leidenschaftlichem Begehren wächst (bzw. im Untergrund brodelt), steigt die Wahrscheinlichkeit einer Affäre oder eines Partnerwechsels.
Um klar zu sehen, genügt oft ein Wechsel der Blickrichtung.
(Antoine de Saint-Exupéry)