Das romantische Liebesideal (die Wurzeln romantischer Liebessehnsucht)
Die romantische Liebe erhöht den Anderen zum Ideal und versetzt die Liebenden in eine Welt, die durch die Intensität ihrer gegenseitigen Empfindungen lebendiger, leidenschaftlicher, sinnlicher wird. Sie ist ein Akt der Hingabe und Verehrung, die schicksalhafte Bestimmung zweier Seelenverwandter füreinander. Aus dem Glauben, dass es den idealen Partner mit der denkbar größten geistigen, körperlichen und seelischen Übereinstimmung gibt, resultiert die Pflicht, nach diesem/dieser Einzigen zu suchen. Eine derartige Liebe existiert vor allem um der Liebe selbst willen.
Eine Beziehung, die sich auf romantischer Liebe gründet, soll durch die Stärke und die Unbedingtheit ihrer Gefühle in der Lage sein, alle Zwänge und Grenzen zu überwinden - sowohl äußere als auch innere. Der Wunsch nach persönlicher Entwicklung der Liebenden verbindet sich mit dem Glauben an das Wachstum innerhalb der eigenen Möglichkeiten. Es ist die Sehnsucht, das Ideal unbedingter Liebe möge beide Partner befähigen, sich zum jeweils besten Modell ihrer Selbst zu entwickeln. Die mit leidenschaftlicher Liebe verbundene Verletzlichkeit wird bejaht, da auch sie Ausdruck der tiefen Gefühle und der Ausschließlichkeit der Partnerwahl ist.
Historisch-kulturelle Einordnung
Wenn die Aufklärung im 18. Jahrhundert der Aufstand der Vernunft gegen die Rigidität kirchlicher Glaubensregeln war, so war die Ende des 18. Jahrhunderts beginnende Epoche der Romantik ein Aufbegehren gegen die Dominanz des Verstandes. Sie war gleichermaßen eine Rebellion gegen die traditionellen Normen wie auch dagegen, gesellschaftliche Regeln und Werte ausschließlich aus rationalen Kriterien abzuleiten. Die Romantik versuchte die Spaltung zwischen Denken und Fühlen zu überwinden und miteinander in Harmonie zu bringen.
Zeitgleich zur Romantik nahm die literarische Epoche der Klassik (bekannteste Vertreter: Goethe und Schiller) die Idee des Guten aus der Aufklärung auf. Dem Ideal der kühlen Vernunft wurde jedoch das leidenschaftliche Genie an die Seite gestellt. Dieses Streben nach Leidenschaft in der Klassik spiegelte sich in der romantischen Liebes-Sehnsucht mit ihrer maßlosen, aufopfernden, anbetungsvollen Verehrung. Im schlimmsten Fall bis in den Tod wie in den "Leiden des jungen Werther".
Historisch muss man die Epoche der Romantik ebenfalls eingebettet sehen zwischen zwei großen gesellschaftlichen und ökonomischen Umbrüchen: der Französischen und der Industriellen Revolution. Die Anführer der Französischen Revolution waren leidenschaftliche Verfechter der Aufklärung. Die Brutalität der Revolutionäre gab der Romantik einen zusätzlichen Impuls, der Empfindsamkeit einen breiteren Platz im Dasein einzuräumen.
Die bereits Ende des 18.Jahrhunderts in England beginnende Industrielle Revolution wurde erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu einem bestimmenden Faktor im Rest Europas. Sie stand jedoch nicht nur für wirtschaftlichen und technischen Aufbruch, sondern brachte auch die Verarmung breiter Bevölkerungsschichten mit sich. Manche handwerklichen Gewerbe, die einen gewissen Lebensstandard sicherten, wurden innerhalb kurzer Zeit zu „brotloser Kunst“ (im wahrsten Sinne des Wortes). Im Zeitraum von nur zwei Generationen wurden gleich drei Säulen brüchig, auf denen Werte und Existenzsicherung über Jahrhunderte basierten: Glaube, Stand und Beruf.
Eine enorme innere Leere war also entstanden, die nach neuen Sinninhalten suchte. Zumindest für alle die, die nicht ums Überleben kämpfen mussten. Die romantische Liebe gab dem eigenen Leben wieder Sinn, und übernahm damit eine Funktion, die früher vor allem die Religion innehatte.
Um klar zu sehen, genügt oft ein Wechsel der Blickrichtung.
(Antoine de Saint-Exupéry)