Sexualität im kulturellen Wandel
Die Erkenntnisse des zweiten Kapitels haben verdeutlicht, dass es nicht nur so alt wie die Menschheit ist, mehr als ein Wesen sexuell zu begehren, sondern sogar noch viel älter. Seit Jahrtausenden jedoch wird dies in den verschiedensten Gesellschaftsformen sanktioniert, Ehebrecher mit teils drastischen Strafen bedroht. Und trotz höchsten Risikos verstoßen Männer wie Frauen immer wieder gegen die kulturellen Verbote.
Im folgenden Kapitel schauen wir uns genauer an, welche kulturellen Einflüsse besonders prägend waren für die Entwicklung von sexuellen Normen und gesellschaftlichen Moralvorstellungen. Vor allem zwei jahrtausendealte Kulturumbrüche wirken bis heute nach. Zum einen der Übergang von Jäger-und-Sammler-Gemeinschaften zur Sesshaftigkeit durch die Agrarwirtschaft. Zum anderen die Sexualmoral christlicher Gemeinschaften, die ein unumstößlicher Bestandteil der kirchlichen Glaubenslehre war. Wer zur falschen Zeit geboren wurde, konnte bei Verstoß gegen das Keuschheitsgebot sogar sein Leben verlieren (insb. als Frau).
Die sexuelle Revolution vor etwa 50 Jahren stellte dann gleich zwei gesellschaftliche Normen und Werte in Frage: die Institution der Ehe und das romantische Liebesideal. Die Idee der freien Liebe wurde mit solcher Konsequenz propagiert und vorgelebt (allerdings mit überschaubarer Haltbarkeit), dass es zugleich kulturellen wie sozialen und emotionalen Sprengstoff barg.
Die anschließende Renaissance monogamer Lebensgemeinschaften steht heute auf dem Prüfstand scheinbar unbegrenzter Möglichkeiten zum Suchen und Finden des perfekt passenden Partners. Sei es für eine dauerhafte Liebesbeziehung oder zur akuten Befriedigung sexueller Bedürfnisse. Es ist nicht gerade unwahrscheinlich, dass der beständig wachsende Online-Markt zur Partnersuche und Partnerwahl der nächste große kulturelle Einschnitt unserer sexuellen Entwicklung ist.
Um klar zu sehen, genügt oft ein Wechsel der Blickrichtung.
(Antoine de Saint-Exupéry)