Keime und Triebe narzisstischer Persönlichkeitsanteile
Narzisstisch gestörte Menschen haben häufig nur wenige Erinnerungen an ihre Kindheit und schildern diese in der Regel als unauffällig und normal. Dies hat seinen Hauptgrund darin, dass sich Narzissmus nach herrschender Meinung aus frühkindlichen Erlebnissen speist. Liegen die Keime dieser Persönlichkeitsanteile jedoch im vorsprachlichen Bereich, entziehen sie sich bewussten Erinnerungen. Sie äußern sich dann durch diffuse Gefühle wie z.B. einer unerklärlichen Unfähigkeit Vertrauen zu schenken. Auf der Verhaltensebene resultieren daraus unter anderem ein misstrauisches Vermeiden von intensiver emotionaler und körperlicher Nähe sowie eine instinktive Abwehr von Aktivitäten, die eine starke Verbundenheit erfordern.
Beispielhaft können folgende Ereignisse vom Kleinkind als traumatisch erlebt werden und zu einer „narzisstischen Verwundung“ führen (d.h. einem Vertrauensverlust im bedingungslosen Versorgt-Sein):
- Eine plötzliche, längere Trennung von der Mutter in den ersten ein bis zwei Lebensjahren wird als existenziell bedrohlich erfahren und erzeugt ein Gefühl größter Hilflosigkeit (insbesondere beim Säugling). In der kindlichen Erlebniswelt kommt hinzu: der Schmerz über einen dramatischen emotionalen Mangelzustand kann nicht mit der Bezugsperson geteilt werden.
- Tod oder eine andere abrupte Trennung von Bezugspersonen mit emotionaler Ersatzeltern-Funktion (z.B. Großeltern)
- Eine selbst in ihrer Kindheit traumatisierte Mutter, die ihre eigenen Gefühle und Bedürfnisse abgespalten hat, und deswegen nicht in einen empathischen Kontakt mit dem Kind treten kann. Sie ist dann nur eingeschränkt oder gar nicht in der Lage, die Gefühle des Kindes zu spiegeln und ihm dadurch emotionale Sicherheit zu geben. Ihre eigene Liebesbedürftigkeit und Mangelgefühle verhindern, dass sie sich auf die emotionale Versorgung des Kleinkindes einlassen kann.
- Für die Entwicklung des Kindes zu frühe und immer wiederkehrende Leistungserwartungen durch Mutter oder Vater; Botschaft: Pflichterfüllung und Selbstbeherrschung haben Vorrang vor Gefühlen, Bedürfnissen oder Genussstreben („Erst die Pflicht, dann das Vergnügen!“, „Alles muss funktionieren!“). Erfahrungsgemäß sind solche - lustfeindlichen - Erwartungshaltungen an das Kind häufig gepaart mit fehlender Anerkennung und Anteilnahme.
Sowohl schmerzhafte Verlusterlebnisse im Kleinkindalter als auch zu frühe Leistungserwartungen (also „bedingte Liebe“) können das Vertrauen in die Zuverlässigkeit und Konstanz von emotionaler Zuwendung nachhaltig erschüttern. Hat die Mutter selbst starke narzisstische Persönlichkeitsanteile oder ist sie durch eigene Traumatisierung egozentrisch auf die eigene Bedürftigkeit fixiert, kann sie dem Kind bestimmte Gefühle nicht erlauben. Insbesondere Wut und emotionale Versorgungsbedürfnisse dürfen nicht gezeigt werden, da die Mutter keine adäquate emotionale Antwort darauf hat. Dadurch und dass das Kind in der Regel kaum empathische Aufmerksamkeit erfährt, fühlt es sich in seinem „So-Sein“ abgelehnt.
Auf narzisstische Verwundungen sowie auf die eigene emotionale Bedürftigkeit der Mutter versucht das Kind durch Anpassung und Abspaltung seiner Gefühle zu reagieren. Es opfert sozusagen seine Gefühle, um die Mutter selbst zu bemuttern. Dies führt nahezu immer zu einer Gefühlshemmung bzw. Gefühlsblockade, d.h. bestimmte Gefühle werden nicht mehr ausgedrückt. Im Weiteren gewöhnt sich das Kind meist auch ab, die nicht erlaubten Gefühle und Bedürfnisse wahrzunehmen, um deren Unterdrückung zu erleichtern.
All dies hat unmittelbare Auswirkungen auf die künftige Liebesfähigkeit und -bereitschaft. Durch das weitere Leben zieht sich in der Regel eine tiefe unbewusste Sehnsucht nach Wertschätzung, Geborgenheit und Verlässlichkeit. Diese kann aber nie erlebt werden, da die Fähigkeit zu Vertrauen nicht gelernt wurde. In der Konsequenz steht ein gewaltiger Liebeshunger einem großen Misstrauen gegenüber. Daraus resultiert ein latent immer vorhandenes Distanzbedürfnis, um sich nicht emotional abhängig zu machen und dadurch das Risiko einzugehen, erneut enttäuscht zu werden.
Die unbewusste Enttäuschung und Wut über den frühen Mangel an Fürsorge, Zuwendung und Anerkennung bleiben groß, selbst wenn diese Gefühle nicht mehr erinnert werden können. Ein Partner kann diese Gefühle nur allzu leicht aktivieren, indem er etwas tut, das ein narzisstisch Verwundeter mit dem frühen Ungeliebt-Fühlen assoziiert. Da sich dies aber auf Dauer kaum vermeiden lässt, ist bei einer Partnerschaft mit einem Narzissten dessen sehnsüchtige Flucht zum nächsten Partner oder in eine Affäre/ Nebenbeziehung in der Regel vorprogrammiert.
Glück ist das einzige, das sich verdoppelt, wenn man es teilt!
(Albert Schweitzer)