Die narzisstische Persönlichkeit
Um das Phänomen Narzissmus in seinem Kern darzustellen, stütze ich mich nachfolgend in manchen Teilen auf Ausführungen von Heinz-Peter Rohr in seinem Buch „Narzissmus – Das innere Gefängnis“. Rohr veranschaulicht hierin nach meinem Empfinden sehr prägnant die Innenwelt einer stark narzisstisch geprägten Persönlichkeitsstruktur. Auf diese Weise möchte ich Betroffenen und den ihnen Nahestehenden sowohl ein Wiedererkennen ermöglichen als auch ein besseres Verständnis der inneren Bedürftigkeit dieser Persönlichkeiten.
Zu den wesentlichen Charakteristika einer narzisstisch geprägten Persönlichkeit zählen
- eine übertriebene Selbstbezogenheit,
- ein unersättliches Bedürfnis nach Anerkennung und Bewunderung,
- ein - zumindest zeitweise - ins Grandiose tendierendes Selbstbild,
- starke Schwankungen zwischen Idealisierung und Entwertung
- Kontrollbedürfnisse und Machtstreben,
- ein empfindlich gestörtes Selbstwertgefühl als Wunde, zu deren Behandlung die o.g. Bestrebungen und Bedürfnisse dienen.
Das äußerst labile Selbstwertgefühl narzisstischer Persönlichkeiten ist auf den ersten Blick oft nicht zu erkennen. Erfolge in Beruf, Hobby oder sonstigen messbaren, nach außen sichtbaren Leistungen überdecken und kompensieren zumeist entsprechende Defizite. Minderwertigkeits- und Unterlegenheits-Gefühle, die sich mit Größen- und Allmachtsfantasien abwechseln, sind die Regel. Werden Narzissten zurückgewiesen (im Extremfall von ihrem Partner verlassen), leiden sie oft unter starken Wut- und Hassgefühlen. Diese lassen sie sich aber nur ungern anmerken, es sei denn sie haben Macht-Positionen inne, die ihnen Sanktionsmöglichkeiten erlauben.
Daraus erklärt sich auch die besondere Bedeutung von Erfolg, Macht, repräsentativen Partnern und/oder sichtbarem Reichtum für Narzissten. Sie fordern auf übertriebene Weise Aufmerksamkeit und Bewunderung, zeigen jedoch wenig echtes Interesse und Einfühlungsvermögen für Mitmenschen. Bleibt die narzisstische Bestätigung über einen längeren Zeitraum aus, kommt es zu Verstimmungen, depressiven Reaktionen oder Aggressionen. Eine echte Depression kann jedoch oft abgewehrt bzw. durch starke Wut kompensiert werden.
Ebenfalls charakteristisch für narzisstische Persönlichkeiten ist ihr Schwanken zwischen Idealisierung und Entwertung – sowohl sich selbst als auch Dritten gegenüber. In der Wahrnehmungs- und Gedankenwelt dieser Persönlichkeiten gibt es in den allermeisten Situationen nur schwarz oder weiß, aber kaum grau. Da in der Selbst- und Fremdwahrnehmung kein Nebeneinander von guten und schlechten Eigenschaften möglich ist, wird selbst geringfügige Kritik schnell als Demütigung oder Erniedrigung und damit als Angriff auf die gesamte Persönlichkeit erlebt. Die dadurch ausgelösten Wut- und Hassgefühle können sich bis zu kaum beherrschbaren Rachewünschen steigern.
Auf die als äußerst schmerzhaft empfundene Entwertung seiner Person reagiert der Narzisst in der Regel, indem er den anderen seinerseits entwertet. Er nimmt der Kritik sozusagen die vernichtende Kraft, indem er den Kritiker - ebenso als Ganzes - abqualifiziert. Die über weite Strecken beherrschten Impulse und Affekte weichen einer unkontrollierten Aggressivität. Der eingeübte routinierte Charme bricht auf.
Auf der anderen Seite drohen auch kleinere Unzufriedenheiten mit sich selbst schnell zur Selbstentwertung zu führen, die in manchen Phasen als existenziell erlebt werden kann. In dieser Stimmung ist eine hohe Aggressivität ebenfalls eher die Regel als die Ausnahme. Extrovertierte Menschen neigen dann vermehrt dazu diese auszuleben (z.B. in der Partnerschaft oder auf der Arbeit). Bei Introvertierten wendet sich die Wut meist nach innen und mündet entweder in depressiven Verstimmungen oder in autoaggressivem Verhalten.
Oft sind narzisstische Persönlichkeiten recht angstfrei, was eine Folge der eingeschränkten Fähigkeit ist, eigene Gefühle wahrzunehmen – so wie das gesamte Gefühlsleben flach und ohne Tiefgang wirkt. Freude erleben sie kaum, und wenn, dann nur kurzfristig in Form der (Dopamin-gesteuerten) Euphorie. Emotionen flackern kurz auf, um rasch wieder zu verflachen. Daher sind bei den meisten Narzissten Leere und Langeweile quälende Begleiter, die sowohl zu hektischer Betriebsamkeit führen als auch zu dem Drang, diese Leeregefühle zu betäuben.
Narzisstische Menschen sind deswegen auch besonders anfällig für alle möglichen Arten von Sucht („Sucht-Charaktere“) – neben den gesellschaftlichen Modedrogen wie Alkohol und Aufputschmittel bis hin zu Kokain vor allem auch Arbeitssucht, Sportsucht oder Sexsucht. Die Einsicht in die Behandlungsbedürftigkeit dieser Phänomene fällt diesen Menschen aber besonders schwer, denn Krankheit - und damit Unvollkommenheit – wird als extreme Kränkung des ohnehin labilen Selbstwertgefühls empfunden. Sie erliegen im Gegenteil oft der Versuchung, beweisen zu wollen, dass ihnen ein kontrollierter Umgang mit Alkohol, Drogen oder Verhaltenssüchten möglich ist.
Fortschritte im Umgang mit Sucht oder sonstigem problematischen Sozialverhalten sind jedoch erst zu erwarten, wenn die zugrunde liegenden gravierenden Beziehungsprobleme sich selbst eingestanden und so bearbeitet werden können. Dies gilt in gleicher Weise für den Umgang mit narzisstischem Verhalten in Partnerschaften.
Glück ist das einzige, das sich verdoppelt, wenn man es teilt!
(Albert Schweitzer)