Folgen von (mangelnder) Elternliebe – unser „Liebes-Erbe“
Wie unter Liebe und Bindung beschrieben, ist Elternliebe für eine gesunde kindliche Entwicklung und den Aufbau einer stabilen Persönlichkeit unabdingbar. Durch sie entwickeln Kinder das sogenannte „Urvertrauen“ und erleben körperliche wie emotionale Geborgenheit - beides wichtige Fundamente für ein gesundes Selbstwertgefühl. Dies erklärt, warum die frühen Liebeserfahrungen aus den Elternbeziehungen (sowohl zwischen Eltern und Kind als auch der Eltern untereinander) einen überaus prägenden Einfluss auf die Gestaltung der eigenen Liebesbeziehungen hat.
Doch auch die Rolle der Liebe des Kindes zu seinen Eltern darf dabei nicht unterschätzt werden, denn das Kleinkind will auch seine Eltern glücklich machen. Sind diese häufig gestresst, wütend oder kapseln sich ab, so dass es selten positive Gefühle vermittelt bekommt, besteht die nicht unwahrscheinliche Gefahr, dass es die Schuld dafür zunächst bei sich selbst sucht. Aus diesem Grund und weil das Kind traurige oder wütende Eltern nur schwer ertragen kann, richtet es sein Verhalten bald danach aus, wie es den Eltern gut tun oder sie besänftigen kann.
Doch dafür muss es eigene Bedürfnisse unterdrücken, so dass sich bald ein inneres Programm ausbildet, sich positive Zuwendungen durch Wohlverhalten oder emotionale Fürsorge zu verdienen. Eine mögliche Unfähigkeit der Eltern zu zugewandtem Verhalten gibt es in der Welt des Kindes nicht. Wenn jedoch auch diese Strategien immer wieder erfolglos bleiben, wird es sein Verhalten dann darauf ausrichten, negative Aufmerksamkeit zu erhalten. Denn nichts ist emotional verletzender als ignoriert zu werden.
Die Sehnsucht nach elterlicher Liebe wird in diesen Fällen sehr häufig mit ins Erwachsenenalter genommen und führt dort dann zu einem schwer stillbaren „Liebeshunger“. Denn letztlich wird die Hoffnung nicht aufgegeben, die ersehnten Liebeszuwendungen doch noch irgendwo (bevorzugt in der Partnerschaft) zu „erringen“. Die dabei benutzten Strategien - in erster Linie Wohlverhalten und Ausrichtung auf die Bedürfnisse des/der Anderen - übernimmt es aus seinen Kindheitserfahrungen. Wer jedoch in seinem Ringen um Elternliebe die Entwicklung der eigenen Gefühle, Bedürfnisse und Wünsche zurückstellt, verliert den Kontakt zu seinem zuverlässigsten inneren Kompass. In der Folge hat man dann oft Probleme zu erkennen, was einem wichtig ist bzw. was man künftig erreichen will.
Die Übertragung der früh unbefriedigt gebliebenen Nähe- und Zuwendungs-Bedürfnisse auf den Partner führt in den meisten Fällen zu einer ewigen Liebesjagd. Starke Stimmungsschwankungen bis hin zu Depressionen sind die Folge. Erst wenn es den Betroffenen gelingt, von der „Suche nach später Elternliebe“ abzulassen (ein in der Regel schwieriger und schmerzhafter Prozess), können die eigenen Bedürfnisse wieder wahrgenommen und in ein selbstbestimmtes Leben integriert werden.
Eine spezielle Form des inneren Konflikts bei der Gestaltung von Liebesbeziehungen im Allgemeinen und der Partnerwahl im Besonderen resultiert aus der folgenden - gerade bei Frauen nicht seltenen - Konstellation:
Etwa im Alter zwischen 5 und 8 Jahren, in denen sich erstmals ein geschlechtsspezifisches Rollenbewusstsein ausbildet, wird der gegengeschlechtliche Elternteil als unbewusstes Männer-/Frauen-Vorbild verinnerlicht und zunächst idealisiert. Während der kritischen Auseinandersetzung mit den Eltern in der Pubertät erfolgt jedoch eine scharfe Abkehr und Distanzierung gegenüber genau diesem Rollenvorbild sowie dessen vorgelebten Beziehungs- und Verhaltensmustern. Die daraus resultierende innere Zerrissenheit des eigenen Liebesmodells wird aber nur diffus wahrgenommen, da unsere Kindheitsprogramme tief im Unterbewusstsein wurzeln. Dadurch wird aber die Tendenz zu Partnern verstehbar, von denen man sich einerseits emotional magisch angezogen, andererseits aber verstandesmäßig abgestoßen fühlt.
All dies macht deutlich, wie nachhaltig der Grad an selbst erfahrener Elternliebe Einfluss auf die Gestaltung unserer partnerschaftlichen Liebesbeziehungen ausübt. Dies ist aber nur der eine Teil unseres emotionalen Erbes. Hinzu kommt, dass sich unsere frühesten Liebes- und Beziehungserfahrungen auch auf unsere Fähigkeit zur Selbstliebe auswirken, die wiederum sowohl unser Selbstwertgefühl als auch die eigene Liebesfähigkeit stark beeinflusst.
Glück ist das einzige, das sich verdoppelt, wenn man es teilt!
(Albert Schweitzer)