Elternliebe - das Fundament unserer Liebesbegehrens
Redet man über die Unterschiede von Elternliebe und partnerschaftlichen Liebesbeziehungen, ist man schnell bei den Begriffen „bedingte Liebe“ und „unbedingte Liebe“. Die Anhänger der romantischen Liebe sehen zwar auch die Partnerliebe im Idealfall als einen Akt unbedingter Liebe, aber die Erfahrungen in langjährigen Beziehungen lassen dies bezweifeln. Gerade in unserer heutigen Gesellschaft hängt die beidseitige Zufriedenheit mit der Partnerschaft am Gefühl einer ausgewogenen Balance von Geben und Nehmen – basierend auf den Vorstellungen eines gleichberechtigten Zusammenwirkens.
Im Gegensatz dazu verleiht die Liebe zu einem Kind häufig die Kraft, von sich selbst abzusehen und sich (zumindest eine Zeit lang) nicht mehr so wichtig zu nehmen – was durchaus als befreiend erlebt werden kann. Doch machen wir uns nichts vor! Liebe ist kein statisches Gefühl, sondern durchaus ambivalent in ihrer Abhängigkeit von der eigenen Tagesform und der des Kindes. Niemandem gelingt es, sein Kind immer nur mit Geduld, Achtung und grenzenloser Liebe zu behandeln. Hinzu kommt, dass die heutige Form der Kindesliebe eher ein neuzeitliches Phänomen ist, denn in Zeiten hoher Kindersterblichkeit zahlte man für solche gefühlsmäßigen Investitionen einen viel höheren emotionalen Preis.
Es ist auch oft schwierig für Eltern, dem eigenen Anspruch an emotionaler Gleichbehandlung ihrer Kinder zu genügen. Insbesondere fällt es meist schwer, sich nicht demjenigen unserer Nachkommen ein bisschen stärker verbunden zu fühlen, in dem wir Teile von uns wiederzuerkennen meinen. Mütter sind gegenüber ihren jüngsten Söhnen dafür genauso anfällig wie Väter gegenüber ihren jüngsten Töchtern. Die Kombination aus Nesthäkchen und gegengeschlechtlichem Spiegelbild scheint eine hohe Anziehungskraft auf elterliche Liebe auszuüben.
Betrachten wir die evolutionärer Ebene, so finden wir dort eine Reihe sinnvoller bzw. notwendiger Entwicklungen von Elternliebe. Auf jeden Fall deutlich mehr als bei der Suche nach evolutionären Wurzeln für die Partnerliebe. Zwar könnte man Liebe als zumindest hilfreiche Beigabe für den Zeugungsakt oder die Bereitschaft zur Aufzucht des Nachwuchses betrachten. Beides gelingt jedoch sowohl im Tierreich als auch - bis vor wenigen hundert Jahren - beim Homo Sapiens ohne die Basis einer Liebesbeziehung nach heutigem Verständnis.
Sicher ist, dass der Nachwuchs von Säugetieren nicht überlebensfähig wäre, ohne das instinktive Bedürfnis liebevoller Fürsorge - insb. der Mutter. Die Fähigkeit, unbedingte Liebe schenken zu können, ist dafür eine wünschenswerte Voraussetzung, denn zurückgeben kann der Säugling zunächst nur sein Wohlbehagen über die liebevoll-symbiotische Verbundenheit. Unter diesem Blickwinkel erschließt sich, dass fürsorgliches und - nach unserem Verständnis - liebendes Brutpflegeverhalten ein genetisches Erbe ist, das älter ist als die Menschheit. Doch wodurch genau bemächtigt sich dieses Erbe unseres Verhaltens?
Bei Versuchen zunächst an Affen haben Forscher herausgefunden, dass das Hormon „Prolaktin“ ausgeschüttet wird, wenn diese Nachwuchs bekommen. Beim Weibchen stimuliert Prolaktin das Wachstum der Milchdrüse und löst Brutpflegeverhalten aus, aber auch beim Männchen steigt der Spiegel kurz vor der Geburt deutlich an. Untersuchungen beim Menschen ergaben ähnliche Ergebnisse hinsichtlich der Prolaktinwerte. Eine mindestens genauso große Bedeutung kommt dem „Verbundenheits-Hormon“ Oxytocin zu. Es löst nämlich nicht nur den Geburtsvorgang aus, sondern auch die Fürsorge-Instinkte der Mutter. Und bei Männern sinkt nach der Geburt der Testosteron-Spiegel. Es zeigte sich, dass Väter sich umso fürsorglicher benahmen, je größer die Änderung ihres Testosteron-Wertes ausfiel.
Ist es da ein Zufall, dass diesen für die elterliche Bindung hilfreichen Hormonen auch eine Bedeutung beim Sex zukommt? Oxytocin hat nämlich zum einen Einfluss darauf, wie gefühlsmäßig intensiv der Orgasmus erlebt wird (je mehr Oxytocin im Blut, desto intensiver), und zum anderen steigert es nach dem Liebesakt das Gefühl der Verbundenheit mit dem Partner. Auch Prolaktin vermittelt Gefühle von Zuneigung, Zufriedenheit und Ruhe, weswegen es beim Liebesspiel noch durch Dopamin unterdrückt wird und erst nach dem Orgasmus die gerade bei Männern verbreitete Schläfrigkeit fördert.
Vor dem Hintergrund dieser Betrachtungen verwundert es nicht, dass in Veröffentlichungen von Psychologen und Neurologen zunehmend der folgende Gedanke auftaucht: das sinnliche Liebes-Begehren könnte seinen hormonellen, emotionalen und damit letztlich evolutionären Ursprung in der Liebe zwischen Eltern und Kind haben. Nicht zuletzt hat auch der symbiotische Verschmelzungswunsch der Verliebten etwas von den frühen Symbiose-Bedürfnissen des Säuglings. Zu ähnlichen Schlussfolgerungen kommt auch Richard David Precht in seinem Buch „Liebe“ – einer unterhaltsamen Mischung aus philosophischen und psychologischen Betrachtungen zum Phänomen Liebe.
Derlei Überlegungen bilden auch einen nachvollziehbaren Rahmen für die folgende Beobachtung aus der therapeutischen Arbeit mit Paaren: häufig finden sich in den Liebes-Sehnsüchten - und zwar beider Geschlechter - lange oder schon immer vermisste Kindheitsbedürfnisse nach schützender Geborgenheit und bedingungsloser Akzeptanz wieder. Hier könnte man auch von unserem „Liebes-Erbe“ sprechen.
Glück ist das einzige, das sich verdoppelt, wenn man es teilt!
(Albert Schweitzer)