Die selbsterfüllende Prophezeiung (als Alltagsphänomen)
Eine Frau sitzt allein an einem Tisch im Restaurant und wartet auf ihren Mann. Sie ist ungehalten, denn sie hasst es zu warten. Da dies nicht zum ersten Mal vorkommt, gehört eine solche Situation zu den partnerschaftlichen Dauerstreitthemen. Überdies hat sie es nicht mehr zum Frisör geschafft, weil sie in der ohnehin knappen Zeit keinen Parkplatz gefunden hat. Und das alles nur, weil ihr Mann heute unbedingt spontan mit ihr Essen gehen wollte. Ihre Gedanken schweifen immer wieder zu der Vorstellung, wie schrecklich sie aussieht.
Während sie abwechselnd ihre Uhr und dann wieder den seitlich liegenden Eingang anstarrt, bemerkt Sie den Blick eines fremden Mannes. Allein um sich an ihrem Ehemann zu rächen, würde sie gerne einen kleinen Flirt beginnen. Wenn da nur nicht ihre katastrophale Frisur wäre. Jetzt lächelt der Fremde sie auch noch ironisch an und weist mit einem leichten Heben seines Kinns nach oben. Als wenn sie nicht selbst wüsste, dass ihre Haare ein Desaster sind. Dieser auf den ersten Blick sympathische Fremde macht sich auch noch lustig über sie. Erst jetzt fällt ihr auf, welche Ähnlichkeit dieser Mann mit ihrem verhassten Schwager hat. Ist er das vielleicht sogar? Hätte sie nur nicht aus Eitelkeit ihre Brille vor dem Lokal abgenommen. Plötzlich erscheint ihr sogar ein hinterhältiges Komplott ihres Mannes denkbar. Und der Kerl gegenüber wirklich sein Bruder!?
Ihr fällt ihre gestrige heftige Auseinandersetzung wieder ein, in der er von ihr gebieterisch verlangt hat, endlich Frieden mit seiner Familie zu schließen. Sie entschließt sich, das Lokal auf der Stelle zu verlassen, ohne den wohl gar nicht so Fremden auch nur noch eines Blickes zu würdigen. Das Zurück-schieben des Stuhls und das sprunghafte Aufstehen mit einer eleganten Halbdrehung sind eins. Scheinbar zielsicher befördert sie damit den Blumenstrauß des hinter ihr stehenden Gatten in den Sektkühler des Nachbartisches. Die als Entschuldigung gedachte Geste ihres Mannes ist damit buchstäblich im Eimer.
Der aufmerksame Fremde, der nicht mehr mit ansehen konnte, wie der Ehemann mit den Blumen hinter seiner Gattin stand und offensichtlich nach den richtigen Worten suchte, darf nun der müßigen Klärung der Schuldfrage beiwohnen. Und noch während des lauter werdenden Streits mit ihrem Gemahl drängt sich der Frau ein Gedanke auf: „Als ich hier ankam, wusste ich schon, dass dieser Abend schrecklich wird.“
(Ende)
Betrachten wie die vier psychischen Prozesse Wahrnehmen, Fühlen, Denken und Verhalten im Zusammenhang wird das Phänomen der „selbsterfüllenden Prophezeiung“ sofort verständlich. Durch die Deutung einer Situation und die selektive Wahrnehmung der mit ihr als wichtig verknüpften Informationen, beeinflusst unsere Erwartung unsere Beobachtung. Die sowohl emotionale als auch kognitive Bewertung des Beobachteten sowie die Handlungsimpulse, die unserem Verhalten zu Grunde liegen, greifen dann auf bekannte Muster zurück. Im Ergebnis tritt meistens das ein, was wir erhoffen oder befürchten.
Hindernisse überwinden, ist der Vollgenuss des Daseins!
(Arthur Schopenhauer)