Gefühle - reflektierte Emotionen
Wie in den bisherigen Abschnitten beschrieben, sind Emotionen und die sie begleitenden Körperprozesse angeboren und dienten ihrem evolutionären Ursprung nach der Befriedigung der Grundbedürfnisse (Überleben, Fortpflanzung und Bindung). Demgegenüber werden Gefühle erlernt, d.h. sie beruhen auf emotional geprägten Erfahrungen. Durch die Reflexion dieser Erfahrungen kann der Emotionsprozess in einem gewissen Rahmen reguliert werden. Darüber hinaus werden Gefühle beeinflusst von den gedanklichen Bewertungen einer Situation, einer Person oder des Selbstbildes – auch als „Kognitionen“ bezeichnet.
Rückkopplungsprozesse erschaffen Gefühle und Stimmungen
An der Entstehung von Gefühlen sind also zwei Komponenten beteiligt: Emotionen und Kognitionen.
Die entsprechenden Hirnareale (limbisches System und Neocortex) stehen in ununterbrochener Wechselwirkung miteinander. Das heißt, es kommt zu einer ständigen wechselseitigen Beeinflussung zwischen assoziativen Emotionen und reflektierten Erfahrungen. Durch diese sogenannten „Rückkoppelungsprozesse“ verändern oder stabilisieren sich unsere Gefühle.
Führen solche Rückkoppelungsprozesse zu einer Aneinanderreihung negativer Gefühlen können sich „trübe Stimmungen“ verfestigen. Diese entfernen sich dann zunehmend von den auslösenden Ereignissen und sind in der Regel weniger intensiv als Emotionen/ Gefühle. Dafür haben sie jedoch eine selbst erhaltende Tendenz, da schlechte Stimmungen weitere negative Emotionen und Kognitionen herauf beschwören. Aus diesen Wechselwirkungen entsteht dann schnell ein Teufelskreis, der das Selbstbild nachhaltig beeinträchtigen kann. Stimmungen lassen sich also am wirkungsvollsten beeinflussen, indem diese Rückkopplungsprozesse auf der Ebene der Kognitionen durchbrochen werden.
Ein gutes Beispiel für einen solchen Teufelskreis ist der fast allgegenwärtige Ärger, sozusagen der kleine Bruder der Wut. Der Ärger wird zunächst durch immer wiederkehrende Gedanken an das Wut auslösende Ereignis genährt. Aufgrund der verärgerten Grundstimmung werden nun zum einen emotional verwandte Situationen gedanklich herauf beschworen, zum anderen verengt sich die Wahrnehmung auf weitere ärgerliche Ereignisse. Daher kann es manchmal Tage dauern (oder länger), bis der Ärger irgendwann „verraucht“ ist.
Auf der anderen Seite gibt es natürlich auch kognitive Errungenschaften, die der emotionalen Selbststeuerung dienen. So sind wir beispielsweise in der Lage, Handlungsimpulse durch gedankliche Reflexion der Situation zu unterdrücken („Der Mensch ist das einzige Tier, das die Freiheit hat, Nein zu sagen!“). Ebenso lassen sich negative emotionale Erfahrungen künftig verhindern, indem die kausalen Ursachen reflektiert werden.
Komplexe Emotions-Cocktails
Der menschliche Geist hat die Fähigkeit aus einer Kombination von Basisemotionen komplexere Gefühle zu kreieren. Neid ist beispielsweise eine Mischung aus Angst (Unterlegenheit) und Wut (Ressourcen-Konkurrenz). Bei der dem Neid verwandten Eifersucht kann zusätzlich zu diesen beiden emotionalen Komponenten noch Trauer mitschwingen, da ein möglicher Bindungs-Verlusts oft bereits gedanklich projiziert wird. In der Scham mischen sich Angst und Trauer, in der Nostalgie Freude und Trauer. Vor diesem Hintergrund wird schnell klar, warum der Gebrauch des Verstandes bei diesen Gefühlen stark eingeschränkt ist: durch die Beteiligung von Wut oder Angst (manchmal auch beidem) wird der Körper von Stresshormonen überschwemmt.
All diese Beispiele zeigen, dass die Kombination von Emotionen begünstigt wird durch gedankliche Prozesse, die den Menschen vom Tier unterscheiden. Dies sind im Wesentlichen:
- die bewusste oder unbewusste Erinnerung an frühere emotionale Momente,
- die auf Erfahrungen basierende Projektion künftiger Ereignisse sowie
- die Bewertung aller Wahrnehmungen (im Innen und Außen) in Bezug auf das Selbstbild.
Gerade die Selbstbild-Urteile potenzieren die Angstmöglichkeiten, da es jetzt nicht nur um die Bedrohung von Leib und Leben sondern auch die des Egos geht.
Hindernisse überwinden, ist der Vollgenuss des Daseins!
(Arthur Schopenhauer)