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Freude und Trauer als Bindungs-Emotionen

Um den evolutionären Zweck von Freude und Trauer verstehen zu können, müssen wir entwicklungsgeschichtlich nicht ganz so weit zurückgehen wie bei Angst und Wut als den ältesten Emotionen. Durch die mangelnde eigenständige Überlebensfähigkeit des Säugetier-Nachwuchses war eine liebende Fürsorge der Mutter von arterhaltender Notwendigkeit. Daher sind Bindungsbedürfnisse bei Menschen sowie bei anderen Säugetieren (und Vögeln) angeboren. Zu diesen Bedürfnissen gehören: Aufmerksamkeit erfahren, Akzeptanz spüren, Zuwendung bekommen. Auch hier unterstützen Emotionen die Befriedigung dieser Bindungsbedürfnisse.

Reptilien hingegen kennen keine Mutter-Kind-Bindung in diesem Sinne - können mithin auch keine Bindungs-Emotionen empfinden. Da der als „Reptiliengehirn“ bezeichnete Teil unseres Gehirns älter ist als unser „Säugetiergehirn“ und die älteren Gehirnareale am schnellsten reagieren, werden unsere Überlebens-Emotionen im Zweifelsfall die Bindungs-Emotionen dominieren.

Trauer

Trauer ist eine Reaktion auf schmerzhafte Bindungserfahrungen (vor allem auf den Verlust eines nahe stehenden Menschen/ Tieres). Sie dient dem Prozess der Schmerzverarbeitung, der das Loslassen ermöglichen soll, um zukünftig neue Bindungen eingehen zu können. Gleichzeitig fördert Trauer die Intensivierung anderer Bindungen durch das Bedürfnis nach Trost, der sich vor allem durch Anwesenheit und - bei Bedarf - körperlicher Nähe ausdrückt.

Auch die „Trauerarbeit“ wird von chemischen Prozessen im Körper begleitet. Antriebsteigernde Neurotransmitter wie Dopamin und Noradrenalin werden in geringerem Umfang produziert als unter „normalen Umständen“. Beim Weinen werden Endorphine freigesetzt (selbst in den Tränen), die - als körpereigene Opiate - seelische Schmerzen lindern helfen. Die Unterdrückung von Trauer und Tränen birgt daher die Gefahr, dass innere Spannungen nicht abgebaut werden und das Erleben neuer positiver Bindungserlebnisse in der Zukunft erschwert wird.

Freude

Der Ausdruck von Freude hat unter anderem die Funktion, Bindungen zu knüpfen oder zu stärken. Jemanden anzulächeln ist eine Einladung, die gerne angenommen wird. Lachen ist ansteckend! Freude zu teilen verbindet! Wenn wir uns freuen jemanden zu sehen, signalisieren wir ihm Wertschätzung und Annahme.

In den ersten Monaten nach der Geburt treten Mutter und Kind im Idealfall in eine starke emotionale Resonanz. Besonders intensiv geschieht dies dadurch, dass sie sich ihre Freude aneinander durch vielfältige Signale zeigen (anlächeln, imitieren, körperliche Nähe etc.). Die in dieser Lebensphase entstandene Bindung wird auf der körperlichen Ebene immer Bestand haben, selbst wenn spätere Werturteile oder andere negative Erfahrungen die Zuneigung in Ablehnung verwandeln sollten. Auf der anderen Seite wird es denjenigen schwer fallen, enge Bindungen eingehen zu können, die solche freudvollen Erfahrungen nie erlebt haben.

Freude und Lernen

Der zweite evolutionäre Zweck der Emotion Freude ist die Unterstützung und Förderung des Lernprozesses. Wenn wir uns über ein Erlebnis freuen oder ein bestimmtes Verhalten zu einem für uns erfreulichen Ergebnis führt, werden im sog. „Belohnungssystem“ unseres Gehirns Neurotransmitter ausgeschüttet, die positive Empfindungen erzeugen. Dies motiviert uns, vergleichbare Situationen erneut zu suchen bzw. entsprechendes Verhalten zu wiederholen. Oder auf schulisches Lernen übertragen: im Gegensatz zum druckbasierten „Pauken“ erzeugt freudebasiertes Lernen nachhaltiges Wissen.

Die Verhaltenspsychologie macht sich diese Erkenntnisse schon seit Jahrzehnten zu Nutze - auch geläufig unter dem Begriff „operante Konditionierung“. Hundebesitzern beispielsweise sind diese Zusammenhänge bestens bekannt, denn eine nachhaltig erfolgreiche Hundeerziehung läuft überwiegend nach diesem Prinzip. Wenn der Hund tut, was er soll, bekommt er ein Leckerchen, das seinem Belohnungszentrum signalisiert, dass sich die Wiederholung dieses Verhaltens lohnt.

Wir lernen also durch Freude, was uns gut tut. So entstehen Verhaltensmuster, die bei wiederholtem positivem Erleben auf immer mehr vergleichbare Situationen übertragen werden. Wobei die Frage, welche Situationen vergleichbar sind, mittels (meist unbewusster) Assoziationen von unserem Gehirn entschieden wird. Darum wundern wir uns auch manchmal darüber, warum wir uns - trotz anderer Vorsätze - schon wieder so verhalten haben. Dies geschieht besonders bei Angewohnheiten, die kurzfristig positive Empfindungen verursachen, aber uns langfristig schaden (neben z.B. naschen und shoppen auch jede andere Form von Substanz- oder Verhaltens-Abhängigkeiten).

Wenn Menschen sich schlechte Angewohnheiten abtrainieren wollen, ist operante Konditionierung ebenfalls der vielversprechendste Weg. Das heißt konkret: Aufbau eines Alternativverhaltens, das Freude erzeugt - notfalls durch eigene Belohnungen als zusätzliche Motivation, wenn das Alternativverhalten selbst nicht genug positive Anreize bietet. 

Neben der Freude als einziger positiver Basisemotion spüren wir natürlich noch andere „Glücksempfindungen“.

Hindernisse überwinden, ist der Vollgenuss des Daseins!

(Arthur Schopenhauer)

Küken im Ei